Bei dem Gespräch zwischen Sohn und Vater, bekennt dieser, dass er sich immer streng verhalten habe – aber nur zum Wohl des Jungen, um zurechtzubiegen, was die Familie Llosa durch falsch verstandene Liebe verbogen habe. Jedoch liebe er ihn, denn er sei sein Sohn. „Dieses Gespräch, das Mitte oder Ende August 1955 stattfand, bedeutete meine endgültige Emanzipation von meinem Vater. Obwohl sein Schatten mich wohl bis zu meinen Grab begleiten wird und obwohl es bis heute manchmal geschehen kann, dass die unvermittelte Erinnerung an irgendeine Szene, an irgendein Bild, an die Jahre, die ich unter seiner Autorität gelebt habe, mir sogleich ein flaues Gefühl im Magen verursacht, hatten wir danach keine Auseinandersetzung mehr“, schreibt Vargas Llosa im Nachhinein (FW 427).

Sonne des Glücks, Schatten der Gedanken

Julia kehrt aus Chile zurück, und das Paar kann jetzt zusammenleben und sich lieben in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Calle Porta in Miraflores. Sie unterstützt ihn als Maschinenschreiberin und bekräftigt ihn bei seinen Plänen, nach Europa umzuziehen und sich zum Schriftsteller zu entwickeln, wie sie überhaupt die Leidenschaft für Literatur mit ihm teilt. Sie lesen aneinander Gedichte Nerudas vor. Jedoch überschatten nach einer Weile Marios Misstrauensattacken das Eheglück. Vargas Llosa spricht von einer „rückwirkenden Eifersucht, (…) als ich entdeckte, dass Julia ein Liebesleben gehabt und, vor allem, nach ihrer Scheidung und bis kurz vor ihrer Ankunft in Lima eine leidenschaftliche Romanze mit einem argentinischen Sänger erlebt hatte“. Diese Affäre habe er empfunden als eine Bedrohung „für unsere Ehe, da sie mir einen Teil von Julias Leben raubte, der mir für immer unerreichbar wäre, und dass wir deshalb niemals ganz glücklich sein könnten“ (FW 431 f.) Aus ihrer Sicht sind die Eifersüchte indes nicht nur rückwirkend, sondern gegenwartsbezogen: Er erlaubt ihr nicht, allein ins Stadtzentrum von Lima zu fahren und wird ärgerlich, als ihr ein Herr bei einer Feier gentleman-like begegnet. Sie deutet das als enorme Unsicherheit und als kindisch: Er habe sich ihr unterlegen gefühlt, sie sich aber nicht überlegen (VnD 40 ff.)4 Auch dass sie alleine zum Strand von Miraflores baden geht, ist ihm nicht recht. „Möglicherweise hat Mario das eifersüchtige Temperament von seinem Vater geerbt“, schreibt Julia Urquidi Illanes in ihrem Buch über die Ehe mit Vargas Llosa (VnD 48). Allerdings dauert die Problemphase nicht lange: Vor ihrem ersten Neujahrsfest sprechen sich beide darüber aus und seither habe sie nie mehr an seiner „krankhaften Eifersucht“ gelitten, so Julia Urquidi Illanes (VnD 50).

Es folgen glückliche Ehejahre, ungeachtet einer Fehlgeburt im Jahr 1956. Julia versteht sich gut mit Marios Freunden von der Universität, und ihre Wohnung in der Calle Porta, später …, ist häufig Ort von Geselligkeit. Trotzdem, als Mario Vargas Llosa 1958 eine vierwöchige Parisreise unternimmt, schwant ihm, sich zu früh verheiratet zu haben. Er, nun 21 Jahre alt, lernt dort die 18-jährige Bernadette kennen. Sie „hatte eine kurze, kastanienfarbige Mähne, blaue, wache Augen und eine blass Haut, die, wenn sie rosig wurde, weil sie lachte oder sich schämte, ihrer Person Anmut und Lebendigkeit verlieh (…) immer hübsch und ordentlich gekleidet, wohlerzogen und mit tadellosen Manieren. Aber sie war auch intelligent, amüsant, von einer eleganten, klugen Koketterie, und wenn ich sie sah und hörte und ihre grazile Gestalt an meine Seite spürte, lief es mir heiß und kalt den Rücken herunter. Sie besuchte eine Kunstschule und fühlte sich im Louvre, in Versailles, in der Orangerie, im Jeu de Paume wie zu Hause, sodass es ein doppeltes Vergnügen war, mit ihr die Museen zu besuchen“ erinnert sich Vargas Llosa (FW 580) und weiter: „Mit diesem jungen Mädchen fühlte auch ich mich jung, und irgendwie erlebte ich in diesen Wochen noch einmal meine Kindheit in Miraflores und die Liebesscharmützel in der Calle Diego Ferré“ (FW 585). In seiner Ehe hingegen sei anstelle der anfänglichen Leidenschaft die häusliche Routine getreten, „die ich bisweilen als sklavischen Zwang empfand. Konnte die Ehe von Dauer sein? Die Zeit würde den Altersunterschied nicht vermindern, sondern vielmehr dramatisch akzentuieren und unsere Beziehung schließlich in etwas Künstliches verwandeln“ (FW 585). So schreibt Vargas Llosa im Rückblick aus dem Jahr 1993.

Seine Frau Julia beschreibt in ihren Memoiren indes die Beziehung jener Jahre als weiterhin glücklich in geistiger wie körperlicher Hinsicht. Nachdem Mario sein Studium in Lima im Mitte 1958 abgeschlossen und ein Stipendium für eine Promotion in Madrid bekommen hat, begeben sie sich nach Europa. Ihre Reise führt über Chochabamba in Bolivien, wo Julia ihren Eltern den Ehemann vorstellt, nach Rio de Janeiro, von wo aus sie per Schiff nach Barcelona und dann weiter mit dem Zug in die spanische Hauptstadt gelangen. Dort kommen sie in einer bescheidenen Pension unter. Während er für seine Doktorarbeit Kurse besucht und im Archiv recherchiert, aber auch viel Zeit abzweigt, mittelalterliche Romane zu lesen und an seinem eigenem Roman über die Kadettenanstalt zu schreiben, arbeitet sie als Schreibkraft bei einer Zeitschrift. Aus Julias Sicht beginnt eine Phase reiner Harmonie: „In unserem ruhigen Leben in Madrid schrieb Mario sein Buch, seine Dissertation, ging in die Bibliothek, um die Bücher über das Rittertum zu lesen, von denen er mir erzählte, um gemeinsam die damalige Zeit heraufzubeschwören und mich an all seinen Träumen und Sehnsüchten teilhaben zu lassen. Unser intimes Leben war vollkommen und wunderbar. Es gab keine Eifersucht und keine Diskussionen, sodass ich vergaß, wie es war, mit ihm streiten, was in Madrid nie vorkam. Seine Zärtlichkeit und Zuneigung erfüllten mein ganzes Leben. Wir hatten Spaß an jeder Kleinigkeit. In unserem winzigen Heim waren wir soweit, den Himmel mit Händen zu berühren, zumindest tat ich das.“ (VnD S. 77). Wochenends und zu anderen Gelegenheiten unternehmen sie Ausflüge nach Toledo, Segovia und Valencia und, zusammen mit einer folkloristischen Tanzgruppe, nach Sevilla, Mallorca und Avila. Im Jahr darauf gönnt sich das Paar eine Italienreise, die sie nach Genua, Mailand, Venedig, Florenz und Rom führt.

Mario und seinem ebenfalls nach Europa gewechselten Studienfreund Lucho drängt es jedoch auch nach Paris. Schon nach wenigen Monaten in Madrid unternehmen sie in den Weihnachtsferien eine Blitzfahrt mit dem Auto dorthin. Die frankophilen Männer können bis zum Morgengrauen durch die Straßen ziehen und schwärmen, während Julia im Hotel bleibt: „Mir gefiel die Stadt, aber ich war nicht so entschlossen wie sie, diese lagen und endlosen Spaziergänge zu machen“, räumt sie ein (VnD S. 75). Als sich das Promotionsstipendium im Herbst 1959 dem Ende zuneigt, schlägt Mario seiner Frau vor, nach Paris umzuziehen statt nach Peru zurückzukehren. Wieder willigt sie ein, um seiner literarischen Karriere willen, für die die französische Hauptstadt bessere Kontaktmöglichkeiten bietet. „Paris war sein Ziel. So verstand ich es. Für mich war es nicht einfach, denn ich beherrschte die Sprache nicht und kannte dort niemanden. Obwohl mir diese Welt ein wenig Angst einflößte, förderte ich die Wünsche und Träume des Mannes, den ich liebte“, erinnert sich Julia (VnD 83 f.).

Trotz der schwierigeren Eingewöhnung in Paris bleibt das Eheleben harmonisch – bis Julia den Verdacht schöpft, dass sich ihr Mann zu einer mexikanischen Kollegin beim Rundfunksender ORTF, für den beide ab 1960 arbeiten, hingezogen fühlt und womöglich eine Affäre hat. Er streitet das ab und verübelt ihr den Argwohn, was sie wiederum verlogen findet. Nachdem ein Vorfall auf einer Feier ihre Befürchtungen zu bestätigen scheint, schlägt sie ihm die Nase blutig. Am nächsten Tag schreibt er ihr, dass er keine Zukunft für ihre Ehe sehe, da sie von ihren „absurden Obsessionen“ nicht loskomme. Seine Worte sind schneidend: „Sag mir, was du bevorzugst: nach Bolivien zu gehen, nach Peru oder hierzubleiben. Wenn es Letzteres ist, werde ich es sein, der fortgeht“ (VnD S. 108). Doch sie schaffen es, sich zu versöhnen, und etwas später räumt die Arbeitskollegin in einem Gespräch mit Julia die Zweifel aus.

Die ungleichen Kusinen

Lange dauert der Ehefrieden nicht an. Zu dem Paar ziehen die beiden Töchter von Lucho und Gaby Llosa, also Marios Kusinen und Julias Nichten. Wanda, die Ältere von ihnen, ist im August 1960 nach Paris gekommen, um Französisch zu studieren, ihre Schwester Patricia folgt ein Jahr später nach. Während sich Julia mit Wanda, deren sanftes Naturell sie schätzt, herzlich gut versteht, ist ihr Patricias Aufsässigkeit suspekt. Einmal stürzt das Mädchen am Mittagstisch absichtlich einen Nudelteller um, einmal ist es unerlaubt nachts in der Stadt unterwegs. Die eigentliche Konflikt aber bricht auf, als Julia zwischen ihrem Ehemann und der 16-Jährigen Blicke wie zwischen Verliebten bemerkt. Ihre Ahnung scheint sich auf einer Reise nach Holland im Mai 1962 zu bestätigen, als sich die beiden Händchen haltend zeigen (VnD 122 ff.). Julia sieht ihre Ehe in Gefahr, auch wenn ihr Mann abstreitet, mit seiner Kusine etwas zu haben. Wieder schaukeln sich Eifersucht und Misstrauen auf ihrer, Gefühlskälte und Ablehnung auf seiner Seite hoch (VnD 131 ff.). Ein Schicksalsschlag überschattet die Krise: Wanda, die ihr Studium beendet hat und sich anschickt, ihren Verlobten Juan Garrido zu heiraten, den sie an der peruanischen Botschaft kennengelernt hat, will im Juni desselben Jahres zu ihren Eltern nach Lima, um das Weitere in die Wege zu leiten. Der Flug sieht eine Zwischenlandung in Pointe-a-Pietre in Guadeloupe vor. Dort kommt es zu einem Absturz ohne Überlebende.

Vargas Llosa begibt sich zu dem Unglücksort, um die Leichenteile der Kusine zu identifizieren und nach Lima überführen zu lassen. Julia und Patricia folgen dorthin nach. Nach der Bestattung fliegt Vargas Llosa allein nach Paris zurück und bittet seine Frau, ihre Rückreise aufzuschieben, weil er der Einsamkeit bedürfe und ein Zusammensein angesichts des Streits der letzten Monate für beide unerträglich wäre. „Das einzige Gefühl, das ein Zusammenleben rechtfertigt, ist die Liebe. Ohne sie ist es die Hölle“, schreibt er ihr (VnD 166). Sie lässt sich davon nicht abhalten und kehrt mit dem Willen, die Beziehung zu retten, nach Paris zurück. Dort arrangieren sie sich zwar und führen nun wieder einen Haushalt nur zu zweit, doch Briefe von Patricia und ein Text ihres Mannes, in dem dieser über ein Mädchen in Lima fantasiert, bestärken ihren Verdacht, dass zwischen beiden eine Herzensbindung fortbesteht (VnD 173 ff.).

Im Herbst erhält Vargas Llosa für seinen Erstlingsroman Die Stadt und die Hunde, bei dessen Abfassung seine Frau ihn unterstützt hat, einen Literaturpreis in Bareclona, wohin sie gemeinsam reisen. Sie erlebt die Reisen mit ihrem Mann auch im darauffolgenden Jahr als harmonische Ausnahmen im ramponierten Ehezustand. Sie machen Urlaub in Cannes und im Ferienhaus ihres Verlegers Carlos Barral in Calafell an der katalanischen Mittelmeerküste, wo Vargas Llosa an seinem nächsten Werk Das Grüne Haus arbeitet. Mit der Begründung, Details der Handlung im peruanischen Urwald vor Ort zu verifizieren, will er im Mai 1964 das Heimatland aufsuchen. Julias Befürchtungen, sein wahrer Beweggrund sei Patricia, widerspricht er, doch nach zwei Wochen erhält sie einen Brief, in dem er ihr gesteht, seine Kusine zu lieben, und um die Auflösung der Ehe bittet. Julia Urquidi Illanes verlässt noch im selben Monat Frankreich, um zu ihren Eltern nach Bolivien zu ziehen. In den Monaten danach lassen sie sich scheiden (VnD 229 ff.).

Die längste Gefährtin

Mario Vargas Llosa kennt Patricia Llosa von Kindesbeinen an. Sie kommt im November 1945 zur Welt, kurz bevor sich die Großfamilie in Piura niederlässt. Der Junge zieht allerdings ein Jahr später nach Lima um, eine abrupte und wohl traumatisch zu nennende Trennung von dem übrigen Teil der Sippe. Doch 1952 kehrt er für ein Jahr nach Piura zurück – Vargas Llosa beschreibt es später als das schönste seines Lebens. Er wohnt bei Onkel, Tante und deren drei Kindern und genießt die Freiheit, die diese ihm lassen, und das Glück erster öffentlicher Erfolge als Schriftsteller. Der Kusine Patricia widmet der 16-Jährige Gedichte, deren Kitsch sie bereits durchschaut und durch eine entsprechende Rezitation noch hervorkehrt. Sie pflegt den Langschläfer mit einem Schuss kalten Wassers ins Gesicht zu wecken, damit er rechtzeitig zum Unterricht erscheint, und auch mit Blick auf andere Aktionen erinnert sich Vargas Llosa: „Ihre Ungezogenheiten schlugen sämtliche Rekorde der Familientradition, selbst meine eigenen“ (FW 238).

Wie oben schon anklang hat sich dieser Charakterzug erhalten, als Patricia zum Studium nach Paris kommt, in etwa demselben Alter wie Mario in jenem legendären Jahr in Piura. Hinter ihrer kindlichen und jugendlichen Ungezogenheit stecken aber wohl auch Vorzüge, die sich als Tatkraft und Resolutheit entfalten. Als er 2010 den Nobelpreis erhält, würdigt Vargas Llosa seine zweite Frau mit den Worten: „Patricia, die Cousine mit der Himmelfahrtsnase und dem unbezwingbaren Charakter, die ich zu meinem Glück vor 45 Jahren heiratete und die immer noch meine Manien, Neurosen und kleinen, zum Schreiben verhelfenden Zornausbrüche erträgt. Ohne sie hätte sich mein Leben vor langer Zeit in einem chaotischen Wirbel aufgelöst, und es wären weder Álvaro noch Gonzalo noch Morgana noch die sechs Enkelkinder geboren worden, die uns fortsetzen und uns das Leben erfreuen. Sie macht alles und sie macht alles gut. Sie nimmt sich der Probleme an, verwaltet die Finanzen, bringt Ordnung ins Chaos, hält Journalisten und Eindringlinge fern, verteidigt meine Zeit, legt Termine und Reisen fest, packt Koffer ein und aus und ist so großzügig, daß selbst ein vermeintlicher Tadel aus ihrem Mund zum schönsten Lob wird: »Mario, du taugst einfach nur zum Schreiben.«“5

Dass Vargas Llosa nach der Scheidung seiner ersten Ehe wiederum eine nahe Verwandte aus dem mütterlichen Familienzweig heiratet, hat sicher mit dem Glück und der Liebe zu tun, die ihm in der Kindheit von dieser Seite zuteil wurden, bevor der Vater eine schmerzhafte Trennung verursachte. Es liegt nahe, dies psychoanalytisch als anhaltende ödipale Prägung zu deuten. Bemerkenswert ist, dass eine Persönlichkeit, die sich nicht nur in der dichterischen Fantasie, sondern auch im realen Leben kosmopolitisch entwickelt, bei der Ehepartnerwahl ihrem Herkunftskreis so verhaftet bleibt. Widerspruchsfrei sind diese Lebensentscheidungen ohnehin nicht. Fünf Jahre nach der Huldigung im Nobelpreis-Format verlässt Vargas Llosa seine engste und längste Gefährtin zugunsten der spanisch-philippinischen Society-Dame Isabel Preysler, Jahrgang 1952. Acht weitere Jahre später macht er diesen Schritt allerdings rückgängig. Seit 2023 leben Mario Vargas und Patricia Llosa wieder zusammen.

  1. MVLL: Extemporáneos: Semilla de los sueños. ↩︎
  2. MVLL: Interview mit Zeit-Magazin, 2011. ↩︎
  3. MVLL: Der Fisch im Wasser. Erinnerungen, übersetzt von Elke Wehr, Suhrkamp, 1998, S. 23. Im Folgenden: FW. ↩︎
  4. Julia Urquidi Illanes: Lo que Varguitas no dijo. 2. Auflage, Grupo Editorial La Hoguera 2012 (Erstauflage 1983). Im Folgenden: VnD. ↩︎
  5. MVLL: Nobelvorlesung. ↩︎

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