1991/92 und 1997/98

Mit Spanien verbinden Vargas Llosa die Sprache und überhaupt die hispanischen Einflüsse in Peru, für Frankreich begeistern ihn die literarisch-geistigen Idole seiner Jugend, wie Dumas und Sartre, an Großbritannien schätzt er in reiferen Jahren den bürgerlichen Liberalismus. In allen drei Ländern nimmt er über längere Zeit seinen Wohnsitz. Reisen führen ihn am Anfang seines europäischen Exils in Madrid und Paris nach Marokko, Italien, die Niederlande und England. Einer der frühesten Aufenthalte im deutschen Sprachraum dürfte der Besuch eines Schriftstellerkongresses in Salzburg 1963 gewesen sein.

Zu Deutschland scheint Vargas Llosa im Vergleich zu den romanischen und angelsächsischen Ländern nicht so leicht oder, anders gesagt, konfliktträchtiger einen Zugang zu entwickelt zu haben. Bereits als Kleinkind in Cochabamba lernt er einen Deutschen kennen, es ist ein Nachbar namens Beckmann, dessen Dogge ihn eines Tages attackiert und ihm damit einen der wenigen Schrecken im Kindheitsidyll versetzt.1 Welche Bedeutung dieses Erlebnis hatte und inwiefern es das Hunde-Motiv in Vargas Llosas Frühwerk bedingt, ist schwer zu ermessen. Greifbarer sind die Folgen einer durch Lektüre vermittelten Gewalterfahrung: Als 16-Jähriger liest Vargas Llosa die Lebenszeugnisse von Jan Valtin, der inmitten von Arbeiteraufständen und Hungersnot nach dem Ersten Weltkrieg in Bremen und Hamburg aufwuchs und später als kommunistischer Spion im Dritten Reich von der Gestapo verhaftet und gefoltert wurde, bevor er als Agent die Seiten wechselt. Dieses mit der deutschen Geschichte verknüpfte Buch weckt in dem Jugendlichen das Interesse an Politik – nachdem die vornehmlich in Frankreich spielenden Abenteurgeschichten von Alexandre Dumas und Victor Hugo seine schriftstellerisch-ästhetischen Träume angefacht haben. In der Folge wendet sich Vargas Llosa als Student zum Kommunismus und liest dementsprechend Marx und Engels.

Gleichwohl nimmt er in jungen Jahren aus der deutschen Kultur nicht nur politisch-revolutionäres Gedankengut auf. In seinen Memoiren hält Vargas Llosa fest, wie ihm der Vorsitzende der Jury eines Literaturwettbewerbs – den er mit 21 Jahren gewinnt und der ihm eine Reise nach Paris beschert – den Zauberberg empfiehlt, woraufhin er in eine Buchhandlung eilt, um den Roman zu kaufen.2 Thomas Mann ist derjenige deutsche Autor, den Vagas Llosa später nennt, wenn er seine literarischen Vorbilder aufzählt. Im Doktor Faustus habe Thomas Mann ein Wunder vollbracht, indem er inmitten einer realistischen Darstellung den Teufel auftreten lässt, also etwas Unmögliches gestalte. Dieser Moment sei einer der meisterhaftesten in der Literatur, er habe die Szene x-mal gelesen und sei jedesmal in Erstaunen versetzt, mit welcher Perfektion sie beschrieben ist.3

Eine hohe Meinung hat Vargas Llosa auch von Günter Grass, dessen Blechtrommel er wegen der Sprachqualität wie Symbolkraft für eines der wichtigsten Bücher, die im 20. Jahrhundert geschrieben wurden, hält. Zudem rühmt er an Grass das politische Engagement, etwa für die deutsche Sozialdemokratie. Doch gerade auf politischem Feld gerieten beide auch in einen Streit, den sie in den frühen 1980er Jahren auf Tagungen des PEN und in öffentlichen Briefen austragen: Dass Grass in Europa für die Demokratie, in Lateinamerika aber für das Modell Kuba eintritt, findet Vargas Llosa nicht nur widersprüchlich, sondern auch schädlich. Dennoch seien sie Freunde geblieben.4

Vargas Llosas Interesse an Deutschland wächst mit der Zeit; so notiert er, als er 1986 sein 50. Lebensjahr erreicht, als Vorhaben, Deutsch zu lernen und eine Zeitlang in Berlin zu leben.5 Die geteilte Stadt hatte er erstmals 1982 besucht, um am „Horizonte-Festival“ teilzunehmen. Das eine Projekt erfüllt sich: 1991/92 ist er auf Einladung von Prof. Wolf Lepenies Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin, und während dieses Jahres verfasst er den Großteil seiner Lebenserinnerungen Der Fisch im Wasser. In den Jahren 1997/98 weilt er weiteres Mal in Berlin, diesmal als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Zuvor (1996) wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, 2005 folgt eine Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität und im Jahr 2008 der Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung.

Mit dem zweiten Ziel tut er sich indes schwer; die Syntax des Deutschen kommt ihm „diabolisch“ vor.6 Noch 2002 vertraut er einem jungen Journalisten an, einer seiner größten Träume wäre es, die deutsche Sprache zu beherrschen, jedoch habe er sehr spät angefangen, sie zu lernen und deshalb habe er es nie genießen können.7

  1. MVLL: Der Fisch im Wasser. S. 24. ↩︎
  2. Ebensa, S. 572 f. ↩︎
  3. https://www.centroricardobsalinaspliego.org/rbsp-detalle/?contenido=125 ab Minute 38. ↩︎
  4. Interview mit der Deutschen Welle, 2015. ↩︎
  5. MVLL: Der Fisch im Wasser. S. 40. ↩︎
  6. Ebenda, S. 667. ↩︎
  7. Sergio Vilela Galván: El cadete Vargas Llosa. Editorial Planeta, 2003, S. 220. ↩︎